Editorials
Hier können Sie alle Editorials als Liste finden.
- Editorial
- September 2024
Die Wahlen zur Nationalversammlung in Frankreich und die Landtagswahlen in Ostdeutschland sind ähnlich ausgefallen. Jeweils rund 30% der Stimmen gingen an rechtsextreme Parteien, wobei die deutsche AFD in der Ablehnung von Menschenrechten und Demokratie offener, brutaler auftritt als der Rassemblement National (RN). Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Frankreich und Deutschland sehr verschieden sind und dass wir uns nur verstehen können, wenn wir die Unterschiede und deren Ursachen kennen. Jetzt gibt es also mal Gemeinsamkeiten – leider im Schlechten. Auf jeden Fall bedeuten sie, dass wir voneinander lernen können, um es besser zu machen.
In beiden Ländern denken Wissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten intensiv darüber nach, warum sich so viele Menschen rechtsextremen Parteien zuwenden, und sie haben auch Antworten. Es geht um die mannigfaltigen Krisen unserer Zeit und wie Politik, Ökonomie und Medien darauf reagieren:
Können die Menschen über die notwendigen Maßnahmen mitentscheiden oder fühlen sie sich entmündigt? Wird ihnen die Freiheit gegeben, sich zu ermächtigen?
Nehmen Politiker und Medien ihre Pflicht ernst, über die Ursachen der Probleme aufzuklären, werden die Menschen als mündige, gleichberechtigte Staatsbürger, als citoyens, behandelt?
Und schließlich: Werden die Folgen der Krisen auf die Schwachen abgewälzt oder herrscht Solidarität, Brüderlichkeit bei ihrer Bewältigung?
September 2024
Ralf Kröner
- Editorial
- Februar 2024
Der Politikwissenschaftler und Publizist Alfred Grosser ist am 7. Februar in Paris gestorben. Er wurde 1925 in Frankfurt am Main in eine jüdische Familie geboren, mit der er 1933 nach Frankreich emigrierte. 1940, als die deutsche Wehrmacht Paris besetzte, floh er in den Süden Frankreichs und lebte dort später mit einer neuen Identität. Ab 1942 studierte Grosser Politikwissenschaft und Germanistik erst in Aix-en-Provence, dann in Paris.
Von 1950 bis 1951 war er stellvertretender Leiter des UNESCO-Büros in der Bundesrepublik Deutschland und wurde Mitte der 50er Jahre Professor am berühmten Institut d’études politiques de Paris, kurz „Sciences Po“ genannt.
Alfred Grosser setzte sich intensiv für die deutsch-französische Aussöhnung ein, war ein Wegbereiter des Elysée-Vertrags. Auf zahlreichen Reisen und Vorträgen, mit seinen Artikeln, Büchern und Auftritten in den Medien engagierte er sich für die Verständigung der beiden Nachbarvölker.
Stefan Ulrich schreibt in der Süddeutschen Zeitung: „Bis zuletzt trieb ihn dabei die Frage der Identitäten um. Ein Mensch bestehe nicht aus einer einzigen Identität, etwa als Deutscher oder Jude, argumentierte er. Er habe viele Identitäten. Und die Menschen sollten sich auch nicht von anderen auf eine einzige Identität festlegen lassen. Vielmehr müssten sie in kritische Distanz zu den eigenen Identitäten gehen, um diejenigen der anderen – und insbesondere auch deren Leid – anerkennen zu können.“
Wie wahr und wichtig in einer Zeit, in der Vertreter der „identitären Bewegung“ Menschen, die eine andere Herkunft, Kultur und Sprache haben, vertreiben wollen, wenn sie nicht noch Schlimmeres vorhaben.
Alfred Grosser war und ist deshalb auch ein Gewährsmann des Fördervereins Deutsch-Französischer Kultur. In unserer Satzung haben wir uns verpflichtet, dazu beizutragen, „eine deutsch-französische kulturelle Identität zu entwickeln“.
Februar 2024
Ralf Kröner
- Petition
- Dezember 2023
Sehr geehrte Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, liebe Freundinnen und Freunde, chères amies et chers amis,
am 10. Dezember hatten wir zu einem Salon über den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen eingeladen. Anlass war die geplante Schließung der Goethe-Institute in Lille und Bordeaux und die schon vollzogene Einstellung der Arbeit des Verbindungsbüros des Goethe-Instituts Nancy in Strasbourg.
Die rund 30 Anwesenden waren sich einig, dass dies ein großer Schaden für die deutsch-französischen Beziehungen bedeutet. Gerade in den jetzigen krisenhaften Zeiten ist es besonders wichtig, dass das gegenseitige Verständnis gefördert wird. Dazu tragen die Goethe-Institute durch ihre Kulturarbeit und ihre Sprachvermittlung in hohem Maße bei.
Die Anwesenden des Salons fordern die Verantwortlichen auf, den Schließungsbeschluss noch einmal zu überdenken und rückgängig zu machen.
Wir haben uns überlegt, wie wir unseren Protest am besten öffentlich machen können, und möchten empfehlen, sich an der Online-Petition von Campact zu beteiligen. Adressat ist das Auswärtige Amt, die Überschrift heißt
Rettet die Goethe-Institute!
Die Petition schließt den Protest gegen die Schließung von 7 weiteren Instituten in Curitiba, Genua, Osaka, Rotterdam, Triest, Turin und Washington ein, was bestimmt kein Schaden ist.
Im Netz: https://weact.campact.de/petitions/rettet-die-goethe-institute
Herzliche Grüße
Dezember 2023
Der Vorstand
Catherine Gebhardt-Bernot, Jörg-Henning Rössig, Ralf Kröner
- Editorial
- November 2023
Ist es eigentlich der Regierung Scholz egal, was ihr wichtigster europäischer Nachbar, Partner - früher wurde Frankreich ja auch als Freund bezeichnet – von Deutschland wünscht und erwartet?
Schon die vorherige Bundesregierung löste auf der anderen Seite des Rheins Befremden aus, als sie in der Corona-Krise die Grenze zu Frankreich schloss, ohne sich mit Paris abzustimmen.
Vor einem Jahr verkündete Scholz dann den „Doppel-Wumms“, wiederum ohne die französischen Partner zu informieren. Die erfuhren durch die Medien von den enormen Subventionen, die die deutsche Regierung ausschütten wollte. Sie stellten nicht zu Unrecht fest, dass die teilweise Finanzierung des Energiebedarfs der deutschen Wirtschaft durch den Staat nicht ganz im Einklang mit den Prinzipien des gemeinsamen Marktes steht.
Und während sich in diesem Herbst die beiden Regierungen in Hamburg zu Beratungen trafen, verkündete das deutsche Außenministerium die Schließung der Goethe-Institute in Strasbourg, Lille und Bordeaux (alle drei Universitätsstädte). Das führte zu Irritationen auf französischer Seite; mal wieder „une décision prise de manière unilatérale“ hieß es höflich-diplomatisch. Auf Deutsch unverblümt: eine brutal einseitige Entscheidung. Öffentliche Proteste in beiden Ländern verpufften.
Der Literaturwissenschaftler, langjährige Geschäftsführer des S. Fischer-Verlags und Frankreichfreund Jörg Bong hat in der Süddeutschen Zeitung geschrieben:
„Bei Goethe geht es um das konkrete Einander-Verstehen, den Dialog, um nichts weniger als Völkerfreundschaft (…). Goethe muss gehen, und nicht nur dort (in Straßburg, der Stadt, die Goethe als junger Mann besonders geliebt hat), auch in Lille und Bordeaux sowie in anderen westeuropäischen Städten (…). 'Die strategische Neuorientierung', die das Auswärtige Amt im Munde führt, da es im Osten Europas und auch in Asien neue Institute verspricht, ist schal. Denn was Außenministerin Annalena Baerbock mit Füßen tritt, ist nichts weniger als das europäische Erbe und die deutsch-französische Freundschaft (…). Die gegenwärtige Regie im Auswärtigen Amt - wie überhaupt beinahe die gesamte deutsche Regierung – hat die deutsch-französischen Beziehungen in so vielem so heftig demoliert wie noch keine zuvor.“
- Editorial
- März 2023
- Flugblatt: Link
Chères amies, chers amis, liebe Freundinnen und Freunde des Fördervereins Deutsch-Französischer Kultur,
zum 40. Jahrestag des Elysee-Vertrags, am 22. Januar 2003, hatten Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder beschlossen, dass die französische und die deutsche Regierung regelmäßig gemeinsame Kabinettssitzungen abhalten. Dieser Deutsch-Französische Ministerrat tagt seither ein- bis zweimal pro Jahr, jeweils abwechselnd in Deutschland und Frankreich. Dann treffen sich der französische Staatspräsident, der deutsche Bundeskanzler, der französische Premierminister sowie alle oder ein Teil der deutschen und französischen Ministerinnen und Minister und beraten über die gemeinsame Politik.
Ausgerechnet vor dem 60. Jubiläum des Elysee-Vertrags im Januar 2023 knirschte es gewaltig zwischen den beiden Regierungen, und der für den letzten Oktober geplante gemeinsame Ministerrat wurde kurzfristig abgesagt.
Schon die Corona-Pandemie hatte offenbart, dass Frankreich und Deutschland keineswegs immer an einem Strang ziehen; was ja gerade in Krisen besonders wichtig wäre. Der Ukraine-Krieg brachte ans Licht, dass es auch in Bezug auf die Energieversorgung große Unterschiede zwischen den beiden Ländern gibt, die zu Konflikten führen können.
In unseren Salon am 26. März haben wir zwei Kenner der Problematik eingeladen, den Ingenieur und Journalisten Guillaume Duval aus Paris und Fritz Mielert vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Stuttgart. Guillaume Duval ist Politikberater und ein profunder Kenner der französischen und europäischen Politik, Fritz Mielerts Arbeitsschwerpunkt ist die Klima- und Energiepolitik.
- Veranstaltung: Energieprobleme in Frankreich und Deutschland
- Editorial
- November 2022
Chères amies, chers amis, liebe Freundinnen und Freunde des Fördervereins Deutsch-Französischer Kultur,
Berlin ist weit weg von Paris (über 1000 km mit dem Auto). Ist das der Grund, warum die Regierungen nicht mit einander sprechen?
Die Sprachlosigkeit ist dramatisch. Die Franzosen wundern sich, dass die deutsche Regierung gerade in Krisenzeichen einsame Entschlüsse fällt, ohne sich mit ihrem engsten Partner abzusprechen. Das war zu Hochzeiten von Corona so (wir haben in unserem vorletzten Rundbrief darüber berichtet) und jetzt, in der Energiekrise, passiert das Gleiche. Die französische Regierung erfährt durch die Medien vom „Doppel-Wumms“ und stellt nicht zu Unrecht fest, dass zig Milliarden Subventionen für die deutsche Wirtschaft nicht ganz im Einklang mit den Prinzipien des gemeinsamen Marktes stehen.
Ähnliches erlebt die deutsche Regierung mit Midcat, einem Pipelineprojekt von Spanien nach Frankreich, mit dem Erdgas auch nach Deutschland gebracht werden sollte. Der französische Präsident Macron beschließt mit seinem portugiesischen und spanischen Kollegen, dass die von Scholz so dringend erhoffte Röhre nicht gebaut wird. Der deutsche Bundeskanzler darf nicht mitreden.
Natürlich, es geht ans Eingemachte, die nationale Energieversorgung. Während Deutschland durch den Ukrainekrieg erlebt, wie fatal die Abhängigkeit vom russischen Gas ist, leidet Frankreich am Atomstrom. Aber sollte man sich da nicht einfach zusammen setzen und darüber nachdenken, wie man die Probleme gemeinsam lösen könnte? Zur Zeit sieht es allerdings eher danach aus, dass die beiden Länder einsam leiden wollen.
Wir dagegen, der Förderverein Deutsch-Französischer Kultur, fördern den Austausch. Im Frühjahr laden wir zu einem Salon ein, in dem der deutsche Teufel (die Abhängigkeit von Gas und Kohle) und der französische Beelzebub (der Atomstrom) im Mittelpunkt stehen.
Bis bald bei einem unserer nächsten Salons
November 2022
Ralf Kröner
- Editorial
- März 2022
Die Pandemie hat viele Probleme ans Licht gebracht, nicht zuletzt die deutsch-französischen. In der ersten Welle im März 2020 hat die deutsche Regierung die Grenze zu Frankreich geschlossen, ohne ihre Nachbarn zu informieren oder gar um Rat zu fragen.
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung ließ die französische Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten und Beauftragte für die deutsch-französische Zusammenarbeit, Amélie de Montchalin, keinen Zweifel daran, was die französische Regierung davon hielt: „Wir brauchen ein Frühwarnsystem, das sicherstellt, dass kein Staat Grenzen schließt, ohne seinen Partnern genug Zeit zu geben, sich vorzubereiten oder die Entscheidung vielleicht noch einmal zu diskutieren. Das müssen wir wirklich besser organisieren“.
Offenbar gab es keine deutsche Bundeskanzlerin, keinen deutschen Minister, keine Ministerpräsidentin, die die Nummern ihrer französischen Kolleginnen und Kollegen auf dem Handy gespeichert hatten, um direkt mit ihnen zu besprechen, was zu tun sei.
Warum? Wahrscheinlich sind außer politischer und bürokratischer Beschränktheit mangelnde Sprachkenntnisse und ein allgemeines Fremdeln mit der Kultur des Nachbarn Schuld daran. Die Förderung der deutsch-französischen Verständigung ist also nach wie vor eine keineswegs gelöste Aufgabe. Wir arbeiten daran, haben in den letzten Monaten sogar einige Veranstaltungen gemacht; dazu mehr am Ende des Rundbriefs.
Wie alle 'Kulturmacher' hoffen wir jetzt, dass wir Ausgefallenes nachholen und Neues planen können, dass wir wieder regelmäßig Aufführungen, Diskussionen, Austausch anbieten können. Dabei wünschen wir uns natürlich vor allem, dass unser Publikum uns die Treue hält, um mit uns dazu beizutragen, das Verständnis der beiden Länder für ihre so verschiedenen Kulturen zu verbessern.
März 2022
Ralf Kröner
- Editorial
- Juni 2019
Europa ist in Gefahr, das hat die Europawahl Ende Mai gezeigt. Hauptgewinner sind die Nationalisten, Rechtsradikalen und Europafeinde, die sich in der Fraktion ENF (Europa der Nationen und der Freiheit) im Europaparlament zusammenfinden.
Mit dem Austritt Großbritanniens wächst die Bedeutung Frankreichs und Deutschlands in der Europäischen Union. Zusammen haben sie rund ein Drittel der Bevölkerung ohne Großbritannien und erbringen starke 40% der Wirtschaftsleistung. Sind sich die beiden einig, können sie viel bewirken und Europa voranbringen.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bemüht sich seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren um den Partner im Osten, wirbt unermüdlich dafür, dass Deutschland seine Reformideen für Europa unterstützt, als da sind: eine gemeinsame Asylpolitik, eine soziale Grundsicherung für alle Europäer, gemeinsame Klimaschutzziele, eine europäische Verteidigung und die Schaffung einer europäischen Behörde für den Schutz der Demokratie, die Hackerangriffe und Wahlmanipulationen verhindern soll. Er hält Reden, zu Hause und vor dem DeutschenBundestag, veröffentlicht einen Artikel in deutschen Zeitungen –umsonst. Die Berliner Regierenden zeigen ihm die kalte Schulter. Offenbar halten sie sich an den Ausspruch des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“
Aber kann Europa ohne Fantasie, ohne Zukunftsideen gedeihen?
Natürlich haben die beiden Länder unterschiedliche Voraussetzungen, verschiedene Interessen. Wer seine Energie zu 40% aus Atomkraft gewinnt, kann sich leichter ehrgeizige C02-Ziele vornehmenals Deutschland, das seine Atomkraftwerke stilllegt. Wer wie Deutschland auf den Export setzt, möchte Freihandel. Frankreichs Politik greift traditionell stärker in die Wirtschaft ein als das wirtschaftsliberale Deutschland und muss zudem zusehen, wie diedeutsche Wirtschaft übermäßig vom Euro und von Niedriglöhnen profitiert. Solche Interessensunterschiede sind unvermeidlich. Erstaunlich ist, dass nicht offen darüber gesprochen wird, um Wege zu finden, sie auszugleichen. Und verwunderlich ist, dass vor allem die deutsche Seite gemeinsame politische Initiativen ausbremst, während Europa dringend reformiert werde müsste, was ohne den deutsch-französischen Motor nicht möglich ist.