Chères amies, chers amis, liebe Freundinnen und Freunde des Fördervereins Deutsch-Französischer Kultur,
im letzten Rundbrief hatten wir angekündigt, dass wir in unserem Herbst-Salon zu einer Diskussion über 'Kleinkinder'-Erziehung in Frankreich und Deutschland einladen wollen. Dabei soll es auch bleiben.
Zwischendurch hatten wir geplant, das Programm aus aktuellem Grund zu ändern. Ende Juni erschoss im Pariser Vorort Nanterre ein Polizist einen 17-Jährigen, weil der sich einer Verkehrskontrolle entziehen wollte. Daraufhin waren Tausende Jugendliche aus den Vororten auf die Straßen gegangen. Es kam zu Ausschreitungen und Plünderungen – nicht zum ersten Mal. Polizeigewalt, daraufhin Unruhen in den französischen Vorstädten und eine eskalierende Antwort der Sicherheitskräfte sind ein Dauerthema in Frankreich. Aber offenbar handelt es sich nicht um eine französische Spezialität, denn auch in Stuttgart haben wir während der sogenannten „Krawallnacht“ die Erfahrung gemacht, dass aus einschränkenden Corona-Maßnahmen, sozialer Benachteiligung und dem Gefühl, die staatlichen Stellen agierten rassistisch, eine explosive Mischung entstehen kann.
Die Probleme sind äußerst kompliziert und bedürfen einer differenzierten Betrachtung. Beim Versuch, zu diesem Thema kurzfristig eine Gesprächspartnerin aus Frankreich zu gewinnen, mussten wir die Erfahrung machen, dass wir dazu mehr Zeit brauchen. Deshalb wollen wir versuchen, im nächsten Jahr einen Salon zu veranstalten, auf dem diese Probleme genauer betrachtet und Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden.
Am 8. Oktober geht es nun also um Erziehung – Bildung/Éducation für kleine Kinder, bevor sie in die 'Regelschule' kommen. Wobei dieses Wort schon einen wichtigen Unterschied deutlich macht: In Deutschland beginnt die Schule mit der Grundschule; Schulpflicht besteht ab 6 Jahren. In den deutschen Kindergärten und Kindertagesstätten, in denen es eine Vielzahl von pädagogischen Konzepten gibt, steht „das Spiel“ als wesentliche Grundlage des kindlichen Lernens im Vordergrund. Durch spezielle Raumkonzepte und pädagogische Angebote in unterschiedlichsten Bereichen werden die Kinder ganzheitlich in ihrer Motorik, musikalisch-rhythmischen Kreativität, der Sprache, dem Sozialverhalten und der emotionalen Entwicklung gefördert. Den Erzieherinnen obliegt die Aufgabe, durch Beobachtung der Kinder ihnen individuelle und allgemeine Entwicklungsanreize zu geben. Dazu gehören auch altersentsprechende Angebote für die 5- bis 6-jährigen als Vorbereitung auf die Grundschule.
Anders in Frankreich: dort besteht schon für Kinder ab 3 Jahren Schulpflicht. In der École Maternelle lernen sie im Frontalunterricht nach einem Stundenplan Buchstaben und erste Wörter und widmen sich spielerisch der französischen Literatur. Sie üben Zählen und Rechnen und haben Werken, Turnen und musische Erziehung. Im Gegensatz zum Kindergarten wird weniger Wert auf Freispiel gelegt. Zudem sollen sie lernen, sich an Regeln anzupassen, was ihnen den Einstieg in die Schule erleichtert.
Zwei Nachbarländer - zwei sehr verschiedene Formen der frühkindlichen Bildung. Das bietet viel Gelegenheit, Neues zu lernen und sich auszutauschen, zu diskutieren und auch zu streiten. Ich hoffe, dass viele unserer Freunde und Freundinnen sowie Unterstützer und Unterstützerinnen davon Gebrauch machen werden.
Herzliche Grüße
September 2023
Ralf Kröner